Ein Kommentar von Prof. Dr. Ulrich Hemel zu Global Citizen Education

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Global Citizen Education: ein Beitrag zum friedlichen Zusammenleben in der einen, globalen Welt des 21.Jahrhunderts 

Jeder Mensch kommt als Person mit einem einzigartigen Bündel an Potenzialen zur Welt. Wenn wir handeln, handeln wir als Person. Personalität ist daher ein Grundprinzip philosophischer Anthropologie, aber auch ein Leitmotiv für erzieherisches Handeln. Und aus der Personalität folgt unmittelbar die Verantwortung für unser Tun: Erleben wir Selbstwirksamkeit, dann erleben wir uns auch als Akteure, als Urheber unseres Tuns. Wir sind nicht Marionetten eines fremden Willens, sondern doch überwiegend selbstbestimmt, also frei und verantwortlich.

Wenn wir von Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit sprechen, gilt dies nicht nur vor uns selbst. Wir handeln in sozialen Kontexten, wir sind umgeben von einem sprachlichen, kulturellen und sozialen Umfeld. Wie wir unsere Potenziale entfalten, das hängt eben auch von sozialen und kulturellen Prägungen ab. Und Menschen suchen die Gemeinschaft mit anderen Menschen, sie orientieren sich am Handeln anderer, sie sind besser als jede andere Spezies in der Lage, miteinander zu kooperieren.

Daher ist die Sozialität ein zweites, ganz fundamentales Prinzip philosophischer Anthropologie. Sie ist unbestreitbar und unbestritten, schon seit Aristoteles‘ Definition vom Menschen als „Zoon politikon“, als einem politisch-sozialen Wesen.

Verantwortlich handeln im Rahmen von Sozialität heißt immer auch, in einer gegebenen Rolle zu handeln und diese zu interpretieren. Jede einzelne Handlung lässt sich daher verstehen als die gemeinsame Schnittmenge von Anteilen unserer Person, unserer ganz individuellen Eigenart, und von Interpretationen, die sich aus wahrgenommenen Rollenerwartungen in unserem sozialen Kontext ergeben.

Und genau hier entsteht eine Herausforderung an den Menschen des 21.Jahrhunderts. Denn die Interpretation von Sozialität hat sich im Lauf der Zeit deutlich verändert: Von der Zugehörigkeit zu einer Stammesgesellschaft in der Steinzeit bis zum Staatsbürger in modernen Nationalstaaten und zum „Global Citizen“ im 21.Jahrhundert. Von diesen Nationalstaaten gibt es noch immer rund 200, mit nach wie vor wachsender Tendenz. „Global Citizens“ jedoch  gibt es derzeit rund 7,5 Milliarden Menschen, also so viele wie Personen auf der Welt leben.

Weil Menschen aber lernfähig und intelligent sind, ist leicht einzusehen, dass die Grenzen eines verfassten Staates nicht die Grenzen unserer Welt sind und sein können. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Und hier gilt es, auf die Herausforderungen der Gegenwart einzugehen.

Globalisierung lässt sich unterscheiden in drei Ebenen: Der Globalisierung von Gütern und Dienstleistungen als erster Ebene, der Globalisierung von Information und Kommunikation durch die Möglichkeiten der digitalen Welt als der zweiten Ebene und die bisweilen konfliktbeladene Globalisierung von Werten, Normen und Religionen als der dritten Ebene der Globalisierung.

Das Weltethos-Institut leistet einen Beitrag zur Humanisierung von globalen Entwicklungen. Und dazu gehört die Vorbereitung auf eine Welt, die nicht mehr allein mit dem Bezug auf die Normen der eigenen Familie, der eigenen Kultur und Religion auskommt. Vielmehr müssen wir Menschen, vor allem auch junge Menschen, darauf vorbereiten, in einer komplexen Welt sowohl standpunkt- wie auch dialogfähig zu machen. Sie müssen lernen, dass der eigene Standpunkt nicht der einzige ist und es gute Gründe geben kann, andere Standpunkte einzunehmen. Eine World Citizenship Education umfasst dann aber auch die Fähigkeit, friedlich mit anderen zusammenzuleben, obwohl sie vielleicht ganz andere Standpunkte vertreten und Schwerpunkte setzen.

World Citizenship Education stammt, so gesehen, aus dem Impuls, dass wir gemeinsam auf einer Erde leben, trotz aller sprachlichen, politischen und sonstigen Unterschiede. Das bedeutet praktisch, dass Menschen die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel lernen und praktizieren müssen, ohne sich gezwungen zu sehen, den eigenen Standpunkt aufzugeben oder jede Woche neue Meinungen vertreten zu müssen. World Citizenship Education weiß sich folglich der sinnvollen Förderung friedlichen Zusammenlebens verpflichtet, besonders im Rahmen entsprechender Projekte, Begegnungen und Erfahrungen.

Weil wir in der einen Welt leben, gehört zur World Citizenship Education die Begegnung mit den Grenzen der eigenen, der persönlichen, der soziokulturell determinierten Welt, aber auch die Erfahrung der Grenzüberschreitung. Wie dies auszugestalten ist, ändert sich, unterliegt praktischen Randbedingungen und personellen Konstellationen.

Genau das macht World Citizenship Education ungemein vielseitig, aber auch notwendig, vielleicht sogar unerlässlich für das friedliche Zusammenleben in der globalen Welt des 21.Jahrhunderts. Und genau deshalb ist die World Citizen School als konkrete Ausprägung der World Citizenship Education ein integraler Bestandteil der Theorie und Praxis des Weltethos-Instituts in Tübingen.

Ulrich Hemel, 10.Juni 2018

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